Warning: Undefined variable $idd in /home/.sites/84/site2667239/web/cms/wp-content/themes/ue-ridler/single-projekte.php on line 8 Gerda Ridler | Eröffnungsrede in der Galerie Lindner Wien

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Ausstellungsansicht „Miteinander – 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs“ mit drei „Statistical Paintings“ aus der Serie „Sens of Life“ von Mark Starel, Galerie Lindner Wien, 2019

Gerda Ridler: Text im Ausstellungskatalog „MITEINANDER – 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs“, Galerie Lindner Wien, 2019
 
Künstler/innen: Dóra Maurer (H), András Wolsky (H), Klaus J. Albert (D), Kerstin Gnauck (D), Viktor Hulik (SK), Markéta Váradoviá (CZ), Mark Starel (PL), Joa Zak (PL)
 
MITEINANDER – konstruktiv / konkret / konzeptuell
 
Das Jahr 2019 hält eine Reihe wichtiger Gedenktage und Jubiläen bereit. Es jähren sich der 500. Todestag von Leonardo da Vinci und der 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt. Vor 100 Jahren durften Frauen in Österreich erstmals zur Wahl gehen, vor 50 Jahren betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond und vor 30 Jahren fiel der Eiserne Vorhang. Vor 100 Jahren wurde auch das Bauhaus gegründet, zweifelsfrei eine der bedeutendsten kulturellen Innovationen des 20. Jahrhunderts.
 
Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Gründung des Bauhauses bilden den formalen und historischen Rahmen des Ausstellungsprojekts „Miteinander – konstruktiv / konkret / konzeptuell“. Kurator Josef Linschinger hat eine Künstlerin und drei Künstler aus vier Ländern eingeladen, die bis 1989 hinter dem Eisernen Vorhang lebten. Dóra Maurer aus Ungarn, Klaus J. Albert aus Deutschland, Viktor Hulík aus der Slowakei und Mark Starel aus Polen zählen zu den renommierten KünstlerInnen ihrer Generation und zu den anerkannten VertreterInnen der konkret-konstruktiven Kunst in ihren Heimatländern. Darüber hinaus sind diese vier KünstlerInnen mit den von ihnen gegründeten Institutionen als internationale VermittlerInnen konkreter Kunst hervorgetreten. Mit ihren vielfältigen Kunstprojekten und Ausstellungskooperationen fördern sie den länderübergreifenden Austausch und bieten Plattformen für künstlerische Begegnungen und die Rezeption einer Kunst, die in engem Bezug zum Bauhaus steht.
 
Das von Walter Gropius gegründete Bauhaus proklamierte 1919 eine Denk- und Gestaltungsweise, die ein neues Bewusstsein für Gestaltung schaffen wollte. Die genutzten Materialien sollten das Wesen der Objekte oder Gebäude widerspiegeln und ihre Ästhetik sollte durch die Funktion bedingt werden. Dieses Credo schlägt gemeinsam mit dem rationalen Grundanliegen des Bauhauses die Brücke zur konkret-konstruktiven Kunst, die auf mathematisch-geometrischen Grundlagen sowie objektiven und nachvollziehbaren Kriterien beruht. Auch ihre Geburtsstunde liegt gut 100 Jahre zurück und lässt sich mit dem 1915 entstandenen Gemälde „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch festsetzen. Dieses Bild stellt das Signalwerk der russischen Avantgardebewegung dar und bildet das Fundament der konstruktiv-konkreten Kunst, auch wenn man bei genauerer Betrachtung erkennt, dass das Quadrat mit lockerer Hand gemalt wurde und bei weitem kein akkurat formuliertes geometrisches Objekt darstellt. Dennoch gilt dieses Werk als Ikone, weil mit der bis dahin gültigen Kunsttradition gebrochen und das geometrisch-abstrakte Gestalten als eigenständiges Genre in die Kunstgeschichte eingeführt wurde. Viele unterschiedliche Künstlergruppierungen haben seither das Konzept der konkreten Kunst befeuert und weiterentwickelt, neben den russischen Konstruktivisten, die der revolutionären geometrischen Kunst auch eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle zumaßen, vor allem die De Stijl-Bewegung um Piet Mondrian und Theo van Doesburg, der den Begriff der „Konkreten Kunst“ prägte. Ab den späten 1930er Jahren waren es die Züricher Konkreten um Richard Paul Lohse und Max Bill, die einen streng systematischen Ansatz in die geometrisch-abstrakte Kunst einführten und über Jahrzehnte das geometrische Kunstschaffen prägten und international ausstrahlten. In den 1960er Jahren führten die Op Art und Kinetische Kunst die Ideen ihrer Vorgänger weiter und nutzten das geometrische Vokabular, um Fragen der Wahrnehmung zu untersuchen und mit der Erforschung visueller und interaktiver Beziehungen zwischen Kunstwerk und Betrachter die konstruktiv-konkrete Kunst mit neuen Facetten zu bereichern. Strenge und klare Formen wurden in weiterer Folge auch von den ProponentInnen der radikalen und analytischen Malerei favorisiert, die sich ab den 1970er Jahren vornehmlich der künstlerischen Untersuchung essentieller Qualitäten von Farbe und Farbraum widmeten. In den frühen 1980er Jahren formierte sich als Gegenentwurf zur vorherrschenden figurativ-expressiven Malerei die Neue Geometrie innerhalb der postmodernen Vielfalt der Kunststile. Besser bekannt als Neo Geo versammelte diese Bewegung unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten, die sich unter Bezugnahme auf das Erbe der klassischen Avantgarden erneut auf elementare konstruktive Fragenstellungen konzentrierten und mit geometrischer Malerei aber auch raumbezogenen Installationen hervortraten. In den letzten Jahrzehnten hat sich dieser neue Geometrismus behaupten können und eine Vielzahl zeitgenössischer Kunstschaffender arbeitet auf hohem künstlerischem Niveau in der Tradition der konkret-konstruktiven Kunst.
 
Zu diesen VertreterInnen einer rationalen geometrischen Kunst zählen auch Dóra Maurer, Klaus J. Albert, Viktor Hulík und Mark Starel. Für die aktuelle Ausstellung haben sie jeweils einen Künstler und drei Künstlerinnen der nächsten Generation aus ihren Heimatländern eingeladen, was für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Schau sorgt. András Wolsky aus Ungarn, Kerstin Gnauck aus Deutschland, Markéta Váradiová aus der Tschechischen Republik und Joa Zak aus Polen stehen für eine jüngere Generation von Kunstschaffenden, die die Tradition der konkret-konstruktiven Kunst in vielfältiger und zeitgemäßer Manier weiterführen. Dóra Maurer hat mit ihrem Werk Quadricinia 2, (2015) quasi ein Sinnbild für diese Ausstellung geschaffen. In ihren jüngsten Werkzyklen Bi-, Tri- und Qaudricinia ¬– die Titel nehmen Bezug auf polyphone Musikstücke – überlagern sich zwei, drei oder vier Farbflächen und lassen in den Überschneidungen neue Farbakkorde entstehen. Kurator Josef Linschinger erkennt in diesen neuen Farbflächen die symbolische Weiterentwicklung der konstruktiven, konkreten und konzeptuellen Kunst dreier Generationen, die sich gegenseitig bedingen und befördern.
 
Dóra Maurer (*1937), die Grande Dame der ungarischen Gegenwartskunst und international bedeutende Vertreterin der konkreten Kunst, hat über Jahrzehnte kontinuierlich und variantenreich eine komplexe Bildsprache im Bereich der Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie und des Films entwickelt. Mit mathematischen Systemen und dem Vokabular der Geometrie untersucht sie beständig die Beziehung von Struktur und Raum. Dabei hat sich die Künstlerin im Bereich der Malerei längst von tradierten Bildvorstellungen und dem herkömmlichen Tafelbild verabschiedet. Mit ihren perspektivisch verzerrten, schwungvoll bewegten Bildern erzeugt sie mit rein bildnerischen Mitteln den Eindruck von Tiefenräumlichkeit und prozesshafter Bewegung. Die vielschichtige Wirkung der Farbüberlagerungen fordert zudem die Wahrnehmungs- und Imaginationsfähigkeit der BetrachterInnen heraus.
Genau wie Dóra Maurer arbeitet auch ihr ehemaliger Meisterschüler an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest, András Wolsky (*1969), in der geometrischen Tradition. Seine strukturierte Herangehensweise hat er von seiner Professorin übernommen, dem strengen Genre durch Einbezug der Komponente Zufall aber eine neue Facette hinzugefügt.
Als Maler verwendet Wolsky ungewöhnliche Hilfsmittel wie Würfel oder numerische Codes, die mit bestimmten Farben, Proportionen oder Winkeln korrespondieren. Seine überlagerten Liniengeflechte wie Random Constellation II (2018) entstehen in einem selbst definierten Regelsystem, in dem der Zufall und das Momenthafte konstituierende Elemente darstellen. Seine Werke bezeichnet der Künstler selbst als ein Zusammenspiel aus „geometrischer Ordnung und der Ordnung des Unvorhersehbaren“.
 
Kontrollierte Ordnung und Zufallskomposition sind auch jene beiden Pole, zwischen denen die variablen Wandbilder von Viktor Hulík (*1949) operieren. Der Künstler ist eine konstante Größe in der slowakischen Kunst- und Kulturszene und ein international agierender Vermittler der konkret-konstruktiven Kunst. Seit den 1980er Jahren stellen die Themen Veränderung, Bewegung und Interaktion Schlüsselmotive seines OEuvres dar. Die Wandobjekte der Serie Geo-Mover bestehen aus beweglichen geometrischen Elementen, die durch mechanisches Drehen oder Verschieben verändert werden können. Das Publikum kann durch spielerische Manipulation die geordneten Kompositionen in neue und scheinbar ungeordnete Arrangements transformieren und ist damit am künstlerischen Gestaltungsprozess aktiv beteiligt. Auf diese Weise visualisiert der Künstler seine Idee des permanenten Wandels und das Prinzip der Dynamik, die allen seinen Werken inhärent ist.
Viktor Hulík hat die tschechische Künstlerin Markéta Váradiová (*1973) nominiert, die als Malerin, Bildhauerin und Konzeptkünstlerin tätig ist. Hauptthemen ihrer Arbeit sind das Licht und die Auseinandersetzung mit dem Raum. Inspiration für ihr vielfältiges OEuvre findet sie in den Bereichen Biologie, Physik und Geometrie, ihr Interesse an der Wissenschaft manifestiert sich in Experimenten mit unterschiedlichen Materialien. Immer wieder nutzt die Künstlerin Glas- und Spiegelflächen, die in den Werken zentrale bildgestalterische Rollen übernehmen, damit die BetrachterInnen aktiv mit einbeziehen und Fragen der Wahrnehmung thematisieren. Váradiová nutzt die Spiegelungen in mehrfacher Hinsicht: zur Erfassung und Wiedergabe der realen Umgebung aber auch als Projektionsfläche für individuelle Reflexion.
 
Der deutsche Metallgestalter Klaus J. Albert (*1943) ist in der Ausstellung mit kleinformatigen Skulpturen vertreten, die ganz dem Geist der konstruktiven Kunst entstammen. Zentraler Aspekt seiner künstlerischen Recherche ist die individuelle Auseinandersetzung mit der Grundfrage der Plastik, der Körper-Raum-Beziehung. Die offen gestalteten Raumplastiken aus Edelstahl sind puristisch im Ausdruck und in ihrer Struktur klar erfassbar. Zudem legt der Künstler in den Titeln seiner Werke seine Kompositionsform offen, wie bei Kreis-Dreieck 55-diagonal (2009). Facettenreich bespielt das Licht die glatten Edelstahl-Oberflächen und vergegenwärtigt und intensiviert die Spannungsverhältnisse, die diesem Objekt aus dem Wechselspiel von Flächen, Kanten, Farbe, Oberflächenstruktur und Raum innewohnen. Auch seine Großplastiken im öffentlichen Raum setzen einprägsame ästhetische Akzente.
Albert hat die Künstlerin Kerstin Gnauck (*1963) eingeladen, deren Malerei von einer konsequenten Reduktion geprägt ist. Sie arbeitet mit klaren Ordnungen und beschränkt sich auf wenige fein abgestimmte Farben. In ihren stringent aufgebauten Werken spielen alle wahrnehmbaren Komponenten visuell zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Der Werkgruppe mit Quadraten und gestreiften Hintergründen wie Untitled (2007) liegt ein orthogonales Rastersystem zugrunde, das in den Streifenbreiten und Rasterweiten variiert. Abhängig von der Position der Quadrate und dem darunterliegenden Kolorit werden diese unterschiedlich wahrgenommen. Gnauck geht es dabei um die Wirkung von Farben und um das Thema der visuellen Perzeption. Auch ihre Streifenbilder P 51 – P 55 (2008/9) experimentieren mit der Interaktion der Farben untereinander und den Farbklängen, die aus diesem direkten Zusammenspiel entstehen.
 
Der polnische Künstler Mark Starel (*1960) verbildlicht in seinen Statistical Paintings Ergebnisse von Datenbanken und statistischen Erhebungen, die vor allem das soziale Verhalten von Menschen thematisieren. Für den Künstler ist die heutige Realität eine statistische Realität, die durch die „Diskursive Geometrie“ künstlerisch visualisiert werden kann. Für die Ausstellung „Miteinander“ hat sich Starel von Statistiken zum Thema Vertrauen und Lebensgefühl der polnischen Bevölkerung inspirieren lassen. Die formale Struktur seiner Werke wird von den prozentualen Verteilungen der Umfragen bestimmt, die in Kreisdiagrammen dargestellt werden. Die Kreise werden radial zerteilt und in unterschiedlichen Maßstäben wieder zusammengesetzt. Die Visualisierung von amtlichem Datenmaterial bietet dem Künstler einen unerschöpflichen Fundus an Darstellungsmöglichkeiten, die sich niemals wiederholen.
Den Werken von Joa Zak (*1979) liegen gleichfalls Statistiken zugrunde. Im Gegensatz zu Starel, der philosophische, soziale, wissenschaftliche und kulturelle Diskurse thematisiert, geht es bei Zak um Dokumentationen von Bewegungsabläufen in privaten und öffentlichen Räumen. Sie kartografiert ihren Alltag, in dem sie die Wege, die sie in ihrer Wohnung zurücklegt, minutiös aufzeichnet und bildlich umsetzt. Joa’s activity, 23.08.2017 zeigt ein Netzwerk unsichtbarer Pfade in einem neunteiligen Rastersystem, in dem jedes Quadrat einen Raum symbolisiert. Die Farben der einzelnen Weglinien definieren die Tageszeit: Rot am Morgen, Grün zu Mittag, Blau am Nachmittag und Schwarz am Abend. Die vielfarbigen Liniengeflechte sind Land- und Wegekarten des Alltags, in ihnen verbindet sich Reales und Abstraktes.
 
Die Ausstellung „Miteinander“ vereint Kunstschaffende unterschiedlicher Generationen und schafft ein länderübergreifendes Zusammenspiel konstruktiv/konkret/konzeptuell-arbeitender Künstlerinnen und Künstler. In der Gegenüberstellung der Werke wird deutlich, wie die jungen Akteure die strengen Konventionen der konstruktiven und konkreten Tradition sprengen. Die Grundauffassung, dass sich konkrete Kunst nicht an der Wiedergabe der Realität orientiert, dass sie nichts abbildet, sondern mit bildimmanenten Mitteln, wie Farbe, Form und Material, eine eigene und künstlerisch autonome Realität darstellt, wird um zeitgemäße Spiel- und Lesarten erweitert. Neben der Integration des Zufalls, der Interaktion des Publikums, der Verwendung aktueller und kunstfremder Werkstoffe bereichern auch narrative Aspekte und eine diskursive Geometrie das Konzept und die Ästhetik der konkreten Kunst. Künstlerische Ansätze und Haltungen verändern sich zwangsläufig mit jeder neuen Generation. Das befördert die Kunst, bringt sie in Bewegung und hält sie vor allem lebendig.
 
[Gerda Ridler, 2019]