Warning: Undefined variable $idd in /home/.sites/84/site2667239/web/cms/wp-content/themes/ue-ridler/single-projekte.php on line 8 Gerda Ridler | Eröföfnungsrede in der Galerie artdepot Innsbruck
Hier steht dein Ihnalt…
 

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Ausstellungseinblick „Inge Dick & Claudia Fritz, Galerie artdepot Innsbruck, 2018

 
Rede zur Ausstellungseröffnung: Inge Dick und Claudia Fritz
Galerie artdepot, Innsbruck am 22. 1. 2019

 
Sehr geehrte Damen und Herren!
 
Ich freue mich, dass ich heute zu den Arbeiten von Inge Dick und Claudia Fritz sprechen darf.
Mit Inge Dick verbindet mich seit langem eine professionelle und freundschaftliche Beziehung, Claudia Fritz und ihre fotografischen Werke habe ich erst vor kurzem kennengelernt. Die beiden sind ein ungleiches Paar, so könnte man auf den ersten Blick meinen, vor allem weil sie unterschiedlichen Generationen entstammen: Inge Dick ist 1941 geboren, Claudia Fritz 1973. Das Spannende und Anregende an solch generationenübergreifenden Ausstellungsprojekten ist, dass sich in jeder neuen Künstlergeneration die Haltung und die künstlerischen Ansätze verändern und die Jungen zwangsläufig mit dem „Ballast“ ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger umgehen müssen. Das befördert die Kunst, hält sie in Bewegung und hält sie vor allem auch lebendig.
 
Ich beginne mit einer kurzen Darstellung der beiden künstlerischen Konzepte und werde abschließend auf mögliche Analogien in den beiden Werken eingehen. Starten möchte ich mit Inge Dick, die zu den renommiertesten und international anerkannten VertreterInnen der österreichischen Gegenwartskunst zählt. Ihr künstlerisches Lebensthema ist das Licht.
In ihrem jahrzehntelangen Schaffen hat sie sich in unterschiedlichen Werkserien dem Thema des Lichts und seiner Darstellbarkeit zugewendet: in den weißen Malereien, in ihren architekturbezogenen Projekten, in den zahlreichen fotografischen Reihen mit unterschiedlich großen Polaroidkameras und schließlich in ihren jüngsten filmischen Serien. Inge Dick ist bekannt dafür, dass sie einer weißen Wand unendlich viele Farben entlocken kann. Ihr gelingt es, das Undarstellbare darzustellen, denn Licht ist ein immaterielles Material, das normalerweise dazu dient, uns die Welt sichtbar zu machen. Inge Dick hingegen schafft es, das Licht zu visualisieren und uns seine chromatische Vielfalt zu erschließen.
 
Am Beispiel ihres jüngsten Projekts, dem Film „jahres licht weiß“ (2012-2015) möchte ich Ihnen die Arbeitsweise von Inge Dick näherbringen: Bei diesem Projekt handelt es sich um einen Jahreszeiten-Zyklus, bei dem im Frühling, Sommer, Herbst und Winter im Atelier der Künstlerin jeweils eine weiße Fläche über drei Tage lang gefilmt wurde. Sie müssen sich das so vorstellen: Ein Künstleratelier, malerisch gelegen am Ost-Ufer des oö. Mondsees, wird größtenteils mit weißen Flächen ausgekleidet, um störende Einflüsse zu vermeiden. Dann wird eine Digitalkamera auf eine weiße Fläche gerichtet und bleibt dabei unverändert mit immer der gleichen Einstellung, allerdings mit einer leichten Unschärfe, auf diese Fläche gerichtet und zeichnet so die Veränderungen des Lichts auf, die sich im Verlauf von drei Tagen auf dieser weißen Fläche ergeben.
 
Inge Dick macht sich bei diesem Prozess eine Besonderheit unseres Sehsinns zunutze. Unser Auge ist darauf trainiert, sich den jeweiligen Lichtgegebenheiten anzupassen. Einen Wechsel der Farbtemperatur des Lichts nehmen wir eigentlich kaum wahr. Eine weiße Fläche bleibt für unser Auge sowohl in der Mittagssonne als auch im Abendlicht einfach eine weiße Fläche. Dass dies nicht so ist, zeigt uns Inge Dick mit ihren Filmen und den daraus entstandenen Filmstills. Denn über den Tag hin verändert das Licht permanent seine Farbe – ein vielfältiges Farbspektrum tritt zutage, das abhängig ist von der Natur, dem Wetter, der Tageszeit und des Ortes.
 
Bei den vier Filmprojekten sind mehrere 100 Stunden digitales Filmmaterial zusammengekommen, das im wahrsten Sinn des Wortes „alle Farben spielt“. Aus diesem reichen Farbfundus wählt Inge Dick einzelne Farben chronologisch aus und setzt sie zu minimalistisch anmutenden Streifenbildern zusammen. Die unterschiedlichen Farbnuancen werden also in schmale chronologische Sequenzen „geschnitten“, die unserem Auge eben den Vergleich erlauben. In ihrer fortlaufenden vertikalen Strukturierung verweisen sie auch auf den zeitlichen Ablauf, den die Künstlerin exakt dokumentiert, indem sie wie eine Wissenschaftlerin Datum und Uhrzeit der Aufnahmen anhand der Timecodes auf den einzelnen Farbstreifen vermerkt.
 
Wie beeindruckend die farbliche Vielfalt der Jahreszeiten ist, können Sie anhand der vier großformatigen Werke erleben. Sie sehen jeweils eine Jahreszeit mit den Lichtfarben von mehreren Tagen. Im direkten Vergleich der einzelnen Jahreszeitenbilder wird deutlich und sichtbar, was wir intuitiv spüren: eben den Wechsel der Farben und die Veränderung des Lichtspektrums über das Jahr hin. So präsentiert sich z.B. das Licht der lauen Sommerabende in hellen Rosa- und Gelbtönen, die Farben des frühen Morgens und des späten Abends kommen dagegen eher in differenzierten Blautönen daher. Die Farben des Herbstes sind im Vergleich zum Sommer dunkler und satter, der Winter ist reich an einer Vielzahl an Blau- und Grautönen. Es sind besonders die Übergänge von Hell zu Dunkel, also die Morgen- und Abendstimmungen, die die Künstlerin besonders faszinieren und in den Filmstills höchst ästhetische Ergebnisse liefern.
 
Was diese Serie auch zeigt, ist, wie weit Gegenstand und Abbild voneinander entfernt sind. So sind diese minimalistischen Streifen-Bilder keine abstrakten Werke, sondern in ihnen lässt sich die unmittelbare Wirklichkeit ablesen. Inge Dick ist also keine abstrakte Künstlerin sondern eine veristische Fotografin, weil sie die Wirklichkeit abbildet, die unser Auge so nicht erkennen kann. Der Fotografie gibt sie, so hat das Tobias Hoffmann einst formuliert, damit ein Maß an Glaubwürdigkeit zurück, die sie im Zeitalter von Fake News und digitaler Bildbearbeitung längst eingebüßt hat.
 
Ganz ähnlich könnte man das auch für Claudia Fritz formulieren, die gelernte Architektin ist und sich als Fotokünstlerin in ihren aktuellen Arbeiten mit Versatzstücken der Wirklichkeit auseinandersetzt. Sie nimmt mit ihrer Kamera scheinbar unwichtige Details unserer Alltagswirklichkeit in den Blick und rückt Kleinigkeiten oder Nebensächlichkeiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Während sie in früheren Projekten Stadtlandschaften untersucht hat, zeigt sie in der Galerie artdepot nun ihre zweite ortsspezifische Arbeit.
 
Für das artdepot hat sie vier Arbeiten in situ entwickelt, die in direktem Zusammenhang mit der Galerie und dem Ort der Präsentation stehen. Es handelt sich dabei um zwei Szenerien, die von der Galerie aus zu sehen sind: Der Blick aus einem Galeriefenster auf eine gegenüberliegende Hausfassade und die Ansicht eines gläsernen Liftturms im Innenhof der Galerie. Im Inneren der Galerie wurden ein Postkartenständer und das vom Künstler Hans Grosch gestaltete Kunstleder-Sofa als Aktionsfelder ausgewählt.
 
Thematisch und formal erfolgt die künstlerische Aneignung bei allen vier Serien ähnlich. Fritz fotografiert ihre Objekte stets von mehreren Standpunkten aus und konzentriert sich dabei auf prägnante Ausschnitte. Der künstlerische Blick ist also auf das Aufspüren interessanter gestalterischer Details, geometrischer Strukturen, Oberflächen- und Materialqualitäten gerichtet, die sich im Laufe des Tages durch Licht und Schatten und vor allem durch den Standpunkt der Aufnahmen verändern. Die Veränderungen des Lichts sind also genau wie bei Inge Dick wichtig, allerdings ist die Kamera hier nicht auf einen Blickpunkt ausgerichtet, sondern die Fotografin nähert sich den Objekten aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie zerlegt mit ihrer Kamera die Objekte in einzelne Bruchteile, um sie später in rasterförmigen Anordnungen und seriellen Reihungen wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Dieses Ganze zeigt aber nie das originale Ganze, sondern nur den ausschnitthaften und fragmentierten Blick, der kaum noch Verweise auf ihre originale Ausgangssituation bereithält.
 
Als Beispiel verweise ich hier auf die Arbeit o.T. shift artdepot 1, die 50 leicht unterschiedliche Blicke aus einem Galeriefenster auf die gegenüberliegende Hausfassade zeigt. Während die rasterförmige Reihung der einzelnen Bilder einerseits die Wahrnehmung für Details schärft, verliert sich andererseits der abbildende Charakter des Grundmotivs. Wand und Fensterflächen mutieren zu rechteckigen Formen und wirken wie ein geometrisch-abstraktes Muster, das von der Fensterrahmung in eine strenge orthogonale Struktur eingefasst wird. Auf diese Weise mutet die serielle Anordnung wie eine minimalistische Komposition an.
 
Bei den drei weiteren Arbeiten gesellt sich zur Abstraktions- und Verfremdungsstrategie noch der Aspekt der Verwandlung der zweidimensionalen Fotografien in dreidimensionale Fotoplastiken hinzu. Bei der vierteiligen Arbeit o.T. shift & kink wird der Bildträger zusätzlich noch gekantet und verweist in seiner Kantung auf den Weg und die Standorte, von denen aus die Künstlerin den Blick auf den gläsernen Liftturm im Innenhof festgehalten hat. Hier gibt es also mehrere visuelle und inhaltliche Ebenen, die allesamt eine Zumutung für die Betrachterinnen und Betrachter sind, weil sie nämlich unsere Wahrnehmung extrem herausfordern. So erzeugen die unterschiedlichen Perspektiven auf den Glasturm in Kombination mit den Spiegelungen und der Kantung des Bildträgers eine Irritation zwischen abgebildeter und tatsächlicher Dreidimensionalität.
 
Claudia Fritz irritiert mit ihren Arbeiten also herkömmliche Sehkonventionen und thematisiert damit Fragen der Wahrnehmung. Auch bei der Arbeit o.T. (DivaN 1 und DivaN 2) hat sie das rote Kunstledersofa ins Visier genommen und prägnante Strukturen sowie geometrische und formale Details daraus festgehalten. Zwölf Bilddetails wurden dann verwendet, um sie auf die jeweils sechs Seitenkanten von zwei Sitzwürfeln zu applizieren. Das Sitzmöbel von Hans Grosch taucht also in den Sitzwürfeln von Claudia Fritz wieder auf, aber durch die konsequente Abstraktion und dadurch Verfremdung entstehen neue Bildresultate bzw. neue Wirklichkeiten. Claudia Fritz’ aktuelle Werkserie ist losgelöst von der Wirklichkeit und doch auf das Engste mit dieser verbunden.
 
Als Gemeinsamkeiten zwischen den Werken von Inge Dick und Claudia Fritz können wir abschließend festhalten, dass beide Künstlerinnen im Bereich der konzeptuellen Fotografie und des Films arbeiten. Licht ist für beide ein zentrales Thema, für Inge Dick – weil sie es in seiner Vielfarbigkeit sichtbar macht, für Claudia Fritz – weil Licht ohnehin eine Voraussetzung für jedes fotografische Bild ist und weil die Veränderungen des Lichts auf den ausgewählten Objekten konstituierender Bestandteil ihrer Arbeiten sind.
Beide Künstlerinnen nutzen eine rasterförmige oder serielle Anordnung als formale Prinzipien. Das ist sicherlich ihrer grundsätzlich konstruktiven Haltung geschuldet, aber auch weil durch das Prinzip des Seriellen Themen der Wahrnehmung besonders effizient und ästhetisch dargestellt werden können. In ihrer künstlerischen Aneignung verhandeln beide Künstlerinnen Themen, die zwischen Repräsentation und Abstraktion liegen. Ihre Werke sind geprägt von formaler und inhaltlicher Komplexität und beide lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Schönheit und Symbolkraft des Alltäglichen. Inge Dick zeigt uns die Farben des Lichts, Claudia Fritz führt unseren Blick zu Bruchstücken und Details profaner Alltagsdinge. Zudem vereinen beide Werke die Kategorien Raum und Zeit in sich. Jede Zeiteinheit, jeder Augenblick erzeugt sein eigenes Bild, besitzt seine eigene Schönheit. Hier kommt zuletzt auch der Aspekt der Vergänglichkeit ins Spiel, der bei der Thematisierung von Zeit immer mitschwingt.
 
Während für die Rezeption der Werke von Inge Dick ein statischer Anblick ausreicht – Sie können davor stehen und in den Farbkosmos eintauchen –, ist es bei Claudia Fritz hingegen wichtig und notwendig, vor allem ihre Fotoplastiken von unterschiedlichen Standpunkten aus zu betrachten, um sie genau erfassen zu können. Daher laden wir Sie ein, genau zu schauen, unterschiedliche Perspektiven zu erproben und vor allem in Bewegung zu bleiben – sinnlich, geistig und körperlich.
 
[Gerda Ridler, 2019]